18. Mai 2020 Europabrief

GdW Europabrief 04/2020

Wiederaufbaufonds nach der Corona-Krise

Mit einem Wiederaufbaufonds für die Zeit nach dem Coronavirus könnte die EU auf den Finanzmärkten Kapital in Höhe von 323 Mrd. Euro aufnehmen, wie aus einer Notiz der Europäischen Kommission zum neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021-2027 hervorgeht.
Laut der Notiz der EU-Kommission würden die Ressourcen und die Architektur des MFR so angepasst werden, dass eine Rückzahlung von Verbindlichkeiten durch den EU-Haushalt möglich wäre. Die Geldmittel würden als „zweckgebundene Einnahmen“ eingesetzt werden, um die bereits existierenden Ausgabenprogramme zu verstärken und neue Mechanismen zu finanzieren.
Dieses Instrument würde es der Kommission ermöglichen, auf den Märkten Kapital aufzunehmen, um politische Prioritäten zu finanzieren. Dies kann dem Dokument zufolge entweder durch Zuschüsse oder Kredite geschehen. Da letztere jedoch die Schulden eines Landes erhöhen würden, sind die Mitgliedstaaten uneins. Haushaltsübertragungen über den Wiederaufbaufonds oder den EU-Haushalt, die mittels einer gemeinsamen Garantie gestützt werden, um besonders betroffene Regionen oder Branchen zu unterstützen, haben beispielsweise keinen Konsens.
Die EU kann mit ihrem AAA-Kreditrating auf dem Markt zu günstigen Konditionen Kredite aufnehmen. Um auch die fiskalische Kapazität für die Kapitalbeschaffung zu haben, würde die EU die Eigenmittelobergrenze laut der Notiz „deutlich über das derzeitige Niveau von 1,2 % des EU-Bruttonationaleinkommens“ anheben. Dazu erwägt die Kommission wohl:

  • eine vorübergehende Anhebung (+0,5 %) der Obergrenze der vorhandenen Eigenmittel aufgrund des außergewöhnlichen Bedarfs im Zusammenhang mit dem EU-Wiederaufbaufonds, der voraussichtlich ab 2020 zur Verfügung stehen wird. Dieser Vorschlag muss einstimmig vom Europäischen Rat beschlossen werden sowie vor Ende des Jahres von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Außerdem müssen die Mitgliedstaaten eine Erklärung abgeben, die eine angemessene Garantie enthält und die Gelder ohne Verzug für 2021 bereithält.
  • Eine langfristige Anhebung der Eigenmittel über die Grenze von 1,29 % des EU-Bruttonationaleinkommens, die im Mai 2018 vorgeschlagen wurde. Hier steht der Wert 2 % im Raum.

Die dem Reformunterstützungsprogramm zugewiesenen Mittel würden im Einklang mit dem künftigen Haushalt des Euroraums auf 200 Milliarden Euro aufgestockt und auf dem Markt beschafft.
Darüber hinaus würde das Programm zusätzlich zur Zuschusshilfe eine neue „Darlehensfazilität“ für die von der Krise am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten vorsehen. Die Darlehen und Zuschüsse wären an die Durchführung von Reformen und Investitionsmaßnahmen zur Unterstützung des Wachstums gebunden.
Die Größe und der Umfang des InvestEU-Instruments sollen weiter über den bisherigen Vorschlag hinaus erweitert werden.
Die Gemeinsame Agrarpolitik (CAP) wird in dem Dokument nicht erwähnt, obwohl sich im Agrarbereich eine Krise abzeichnet.
Entgegen vorheriger Aussagen arbeitet die Kommission wohl an einer Übergangslösung für die Kohäsionspolitik. Die Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen (CPR) für den Zeitraum 2014-2020 und die laufenden Programme würden demnach um 2 Jahre bis 2022 verlängert werden. Darüber hinaus werden die beiden Gesetzespakete CRII und CRII+ der Investitionsinitiative zur Bewältigung der Coronavirus-Krise mit einer Co-Finanzierungsrate von 100 % Flexibilität bieten. Es wird außerdem die Entwicklung eines speziellen Verteilschlüssels angekündigt, mit dem die finanziellen Zuweisungen besser auf den Bedarf abgestimmt werden sollen.
Ausschließlich mit der Krise verbundene Maßnahmen (wie Beihilfen für KMU, Einkommenssicherungsmaßnahmen und die Wiederherstellung der Gesundheitssysteme) werden jedoch durch 50 Mrd. Euro aus den zweckgebundenen externen Einnahmen des EU-Konjunkturprogramms finanziert, wobei über die Höhe von 50 Mrd. Euro noch kein Beschluss gefasst wurde.
Im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) will die Kommission der Kohäsionspolitik neue Impulse verleihen, um die Unterstützung von Investitionen in wirtschaftliche Schlüsselsektoren, die von der Krise betroffen sind oder durch sie hervorgehoben wurden, anzuregen. Benannt werden diese Sektoren allerdings nicht.
Dem Dokument zufolge wird die Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen für den MFR 2021-2027 überarbeitet. Die Kommission sähe demnach die Einführung einer gewissen Flexibilität vor:

  • Stärkung der Flexibilität für die Übertragung von Mitteln zwischen Fonds von 10 auf 15 %
  • Notfallbestimmungen, mit denen vorübergehend von Regelungen abgewichen werden kann, um einigen oder allen Mitgliedstaaten zu helfen.

Außerdem möchte die Kommission die Investitionen in den Gesundheitssektor stärken. Sie will einen schnellen Start des Fonds für einen gerechten Übergang, des Fischereifonds und des Nationalfonds, deren Ausführungsbestimmungen in der neuen CPR-Verordnung verankert sind.
Experten zufolge wäre eine Bestätigung dieser Überlegungen, insbesondere die Übergangslösungen zwischen zwei Haushaltszyklen, gute Neuigkeiten, da sie auf „neuem Geld“ basieren würden. Ebenfalls positiv wäre ein neuer Verteilschlüssel, der auf einer Prognose des sinkenden Pro-Kopf-BIP für das Jahr 2020 und auf gesundheitsbezogenen Kriterien basiert.
Mit diesen Überlegungen kommen die „Eurobonds“ oder „Coronabonds“ wieder zurück auf die politische Agenda der EU. Die Beschaffung von Finanzmitteln auf den Kapitalmärkten, die durch EU-Mitgliedstaaten garantiert werden, entspricht den Überlegungen der Coronabonds. Die Haftung der Mitgliedstaaten soll bei dieser Variante allerdings auf die Höhe der Eigenmittel der EU limitiert werden.

Özgür Dr. Özgür Öner 0032 2 5501611