19. Oktober 2020 Europabrief

GdW Europabrief 10/2020

Renovierungswelle

Am 14. Oktober 2020 hat die EU-Kommission die lang erwartete Kommunikation zu einer Renovierungswelle für Europa veröffentlicht. Dabei handelt es sich um einen Aktionsplan, der lange bestehende Barrieren für energie- und ressourceneffiziente Modernisierungen aufbrechen soll.
Der Aktionsplan verfolgt das Ziel, die jährliche Renovierungsrate in der EU von derzeit 1 % bis 2030 mindestens zu verdoppeln, also mehr als 35 Millionen Gebäude zu renovieren und bis zu 160.000 zusätzliche „grüne Arbeitsplätze“ im Baugewerbe zu schaffen. Der Bezugsrahmen ist bereits das noch nicht gesetzlich verankerte EU-Ziel von -55 % THG-Reduktion bis 2030 gegenüber 1990. Im Gebäudesektor sollen nun EU-weit bis 2030 gegenüber 2015 (!) die Treibhausgasemissionen um 60 % und der Endenergieverbrauch für Heizung und Kühlung um 18 % sinken. Im Mittelpunkt steht die Renovierung öffentlicher Gebäude, von Schulen, Krankenhäusern und Sozialwohnungen.
Die EU verfolgt nach eigenen Aussagen erstmalig einen integrierten Ansatz, der sieben Hauptpunkte enthält: Energieeffizienz, Dekarbonisierung und Integration erneuerbarer Energien aus lokalen Quellen, Denken im Lebenszyklus und Kreislauf, hohe Umwelt- und Gesundheitsstandards, gemeinsame Bewältigung der grünen und digitalen Transformation und Respekt für ästhetische und Architekturqualität.
Ansatzpunkte sind die Überarbeitung der EU-Richtlinien zur Gesamtenergieeffizienz (EPBD), zu erneuerbaren Energien (RED) und über Energieeffizienz (EED) sowie viele weitere Punkte. Alle Initiativen sollen durch Konsultationen der Stakeholder begleitet werden.
Die Kommission plant 23 Schlüsselmaßnahmen, die unter Punkt 2 dargestellt sind. Diese Schlüsselmaßnahmen sind nicht ganz identisch mit folgenden qualitativen Kommissionszielen, weil sie einige der wichtigsten Punkte nicht direkt adressieren bzw. in den Mitgliedsstaaten gelöst werden müssen, z. B. in Deutschland Förderung und nachbarschaftsbasierte Ansätze (Strom und Wärme im Quartier).
Qualitative Ziele:

  1. Strengere Vorschriften in Bezug auf die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden: schrittweise Einführung verpflichtender Mindestnormen für die Gesamtenergieeffizienz bestehender Gebäude, aktualisierte und harmonisierte Vorschriften für Energieausweise, mögliche Ausweitung der Renovierungsanforderungen für den öffentlichen Sektor. In einer Folgenabschätzung sollen verschiedene Optionen in Bezug auf Höhe, Umfang und Zeitpunkt dieser Anforderungen und grüne Vergabekriterien für öffentliche Gebäude geprüft werden. Die Kommission möchte Anfang 2021 einen Leitfaden zum Grundsatz „Energy Efficiency First“ herausgeben.
  2. Gezielte Finanzierung gewährleisten: Rund 37 % der Mittel der Aufbau- und Resilienzfazilität von 672,5 Mrd. Euro im Rahmen des Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ sind für nachhaltige Projekte vorgesehen, z. B. die Renovierung von Gebäuden. Es sollen weiter Mittel im Rahmen der Kohäsionspolitik und von „InvestEU“ zum Einsatz kommen. Regeln für die Kombination verschiedener Finanzierungskanäle sollen vereinfacht und Anreize für private Finanzierungen durch „grüne Kredite“ gesetzt werden. 
  3. Vereinfachung der Beihilferegelungen: Die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung soll vereinfacht und klarer sowie leichter anwendbar werden.
  4. Ausbau der Kapazitäten für Renovierungsprojekte: technische Unterstützung der nationalen und lokalen Behörden, Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zugunsten von Beschäftigten für die neuen „grünen Arbeitsplätze“, ein neues „Europäisches Bauhaus“ als ein gefördertes interdisziplinäres Projekt.
  5. Förderung nachhaltiger Bauprodukte und -dienstleistungen: es soll ein Vorschlag zur Überarbeitung der Bauprodukten-Verordnung mit Nachhaltigkeitskriterien für die Aufnahme von Bauprodukten in Bauwerken erfolgen. Überprüfung der in der EU-Gesetzgebung für Bau- und Abbruchabfälle festgelegten Ziele für die stoffliche Verwertung. Die Kommission betont die Bedeutung passiver und biobasierter Baulösungen, insbesondere eine verstärkte Nutzung von Holz.
  6. Integration der digitalen und erneuerbaren Dimension im Bau-Ökosystem: Entwicklung standardisierter nachhaltiger industrieller Lösungen, Wiederverwendung von Abfallmaterial, Fahrplan 2050 für die Verringerung der CO2-Emissionen in Gebäuden über den Lebens-zyklus. Im Mittelpunkt stehen stadteilbezogene Konzepte für lokale Gemeinschaften, um energieeffiziente Lösungen zu etablieren. Der neue „Smart Readiness Indicator“ soll digitalfreundliche Renovierungen fördern. 
  7. Zugang zu gesundem Wohnraum für Haushalte mit niedrigem Einkommen: Ermöglichung einer Finanzierung nationaler Energieeffizienz- und Energiesparprogramme für einkommensschwache Haushalte durch Einnahmen aus dem Europäischen Emissionshandelssystems (ETS), Einbeziehung aller Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe unter die Emissionsobergrenze des ETS. Es soll die Energiearmut bekämpft werden, wovon 34 Millionen Menschen in der EU betroffen sind. In diesem Rahmen sollen 100 Bezirke als Modelle für bezahlbaren Wohnraum definiert werden.
  8. Förderung der Dekarbonisierung von Heizung und Kühlung: das Potential lokaler erneuerbarer Energien soll eingesetzt werden. Das Thema soll im Rahmen der Überarbeitung der Richtlinie über erneuerbare Energien angegangen werden. Es sollen die Rechtsvorschriften zum Ökodesign und zur Energiekennzeichnung überarbeitet werden.

Nicht alle dieser Aussagen im Text der Kommunikation zur Renovierungswelle finden sich in den 23 Schlüsselmaßnahmen wieder.
Weitere Informationen:
Pressemitteilung der Kommission
Zeitplan der Maßnahmen (in englischer Sprache)
Fragen und Antworten

Özgür Dr. Özgür Öner 0032 2 5501611