26. Juni 2020 Europabrief

GdW Europabrief 07/2020

Deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020

Am 1. Juli 2020 wird Deutschland turnusgemäß für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Gleichzeitig beginnt damit die sogenannte Triopräsidentschaft Deutschlands, Portugals und Sloweniens: Portugal übernimmt den Vorsitz im Januar 2021 von Deutschland und gibt ihn sechs Monate später an Slowenien ab. Damit soll gewährleistet werden, dass politisch bedeutsame Themen über einen längeren Zeitraum koordiniert und vorangebracht werden können.
Das Schwerpunktthema der Triopräsidentschaft mit deutscher Beteiligung wird zunächst die Bekämpfung und Bewältigung der sozioökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie sowie die Verbesserung des europäischen Krisenmanagements darstellen.
Weitere relevante Themen sind unter anderem:

  • Der Mehrjährige Finanzrahmen 2021-2027 und das Aufbauinstrument („Next Generation EU“)
  • Die künftige Beziehung der EU zum Vereinigten Königreich
  • Die Umsetzung der Strategischen Agenda 2019-2024 (wurde von dem Europäischen Rat am 20. Juni 2019 angenommen). Die strategische Agenda beinhaltet: den Schutz der Bürgerinnen und Bürger und der Freiheiten; Entwicklung unserer wirtschaftlichen Basis; Verwirklichung eines klimaneutralen, grünen, fairen und sozialen Europas; Förderung der Interessen und Werte Europas in der Welt.
  • Im Rahmen der Entwicklung der wirtschaftlichen Basis werden Energiethemen eine wichtige Rolle einnehmen: Der Dreiervorsitz möchte die Verwirklichung der Energieunion durch einen integrierten, vernetzten und einwandfrei funktionierenden europäischen Energiemarkt mit Schwerpunkt auf nachhaltiger Energie und dem Übergang zur Klimaneutralität verwirklichen. Dazu wird er überprüfen, inwieweit der Energiesektor nach der COVID-19-Pandemie die Erholung fördern kann.
  • Die Wiederherstellung und Weiterentwicklung des europäischen Binnenmarkts, insbesondere der Übergang zu einer grünen Wirtschaft, der digitale Wandel, die digitale Souveränität, eine dynamische Industriepolitik, Unterstützung von KMU und Start-ups, die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen, widerstandsfähigere Infrastrukturen (vor allem im Gesundheitssektor) und die Verringerung der Abhängigkeit von Drittstaaten

Für die Wohnungswirtschaft, Stadtentwicklung und Raumordnung sind folgende Bereiche von besonderer Bedeutung:
Die deutsche Ratspräsidentschaft wird sich auch auf die KMU-Strategie der Kommission konzentrieren, um die Politik der EU für kleine und mittlere Unternehmen zu stärken. Hier wird es für den GdW relevant sein, auf eine aktualisierte KMU-Strategie zu drängen, die die Interessen öffentlicher KMU berücksichtigt und die aktuelle Benachteiligung thematisiert.
Während der deutschen Ratspräsidentschaft wird ein weiteres Thema die wirksame und flexible Kohäsionspolitik sein. Die Kohäsionspolitik soll sich auf alle Regionen erstrecken, damit die Wettbewerbsfähigkeit und der Zusammenhalt gefördert werden. Für die Wohnungswirtschaft ist eine geografische Ausweitung der Kohäsionspolitik interessant, da hierdurch weitere stadtentwicklungspolitische Initiativen in Deutschland förderfähig werden können, die derzeit nicht möglich sind.
Ein weiteres Thema für die Wohnungswirtschaft wird die intelligente Sektorenintegration sein. Die Liberalisierung des Strommarktes im europäischen Kontext hat in Deutschland dazu geführt, dass Stromerzeugung, Stromnetz sowie Messwesen mit einem marktlich organisierten Stromabsatz getrennt wurden. Damit die dringend notwendigen Investitionen in die lokale Stromerzeugung, insbesondere in Photovoltaik-Anlagen – aber für schlüssige Energiekonzepte auch in BHKW – und in die damit verbundenen Mieterstromprojekte sowie Beiträge zur Elektromobilität möglich werden, müssen überall dort, wo es Anforderungen an einen räumlichen systematischen Zusammenhang gibt, Möglichkeiten gefunden werden, die Rechte von Letztverbrauchern soweit zu koordinieren, dass sie mit der Zielsetzung von lokaler Energieerzeugung in Einklang gebracht werden. Dies betrifft insbesondere die Definition des Letztverbrauchers und die Definition von Kundenanlagen. Darüber hinaus ist eine drastische Vereinfachung für die Erzeugung und Nutzung von Strom im lokalen Zusammenhang notwendig.
Die Triopräsidentschaft von Deutschland, Portugal und Slowenien hat sich eindeutig zu den Zielsetzungen des Übereinkommens von Paris – Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen – bekannt. Die deutsche Ratspräsidentschaft unterstützt explizit die Initiative zur Klimaanpassungsstrategie und den Green Deal. Der „Green Deal“ ist eine der sechs politischen Leitlinien und Kernstück der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Reform der neuen Europäischen Kommission. Mit dem Paket sollen Ziele wie die Klimaneutralität in der Europäischen Union bis 2050, die Abkopplung des Wirtschaftswachstums von der Ressourcennutzung und der Schutz des Naturkapitals verfolgt werden. Der Green Deal ist jedoch noch mehr: Er soll zu einem Umdenken in und zu einer Umstrukturierung der Gesellschaft und Wirtschaft führen und ist als neue Wachstumsstrategie der EU gedacht. Für diesen grundlegenden europäischen Strukturwandel hat die Kommission mit dem Green Deal insgesamt 50 Initiativen und einen ersten Fahrplan für die wichtigsten Strategien und Maßnahmen vorgestellt. Sie sollen in den nächsten Jahren Schritt für Schritt umgesetzt werden. Besonders in den Bereichen Energie, Gebäude, Industrie und Mobilität wird die Umsetzung des Green Deals stattfinden, jedoch sind alle Wirtschaftszweige einbezogen. Für den Gebäudebestand, auf den 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU entfällt, sind im Green Deal eine „Renovierungswelle“ für öffentliche und private Gebäude für Oktober 2020 und mindestens eine Verdoppelung der aktuellen Renovierungsquote in der EU angekündigt.
In die Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft wird voraussichtlich auch die Umsetzung der Basel III Verordnung fallen. Es ist für die Wohnungswirtschaft relevant, dass die Basel III Verordnung die Finanzierung des sozialen und bezahlbaren Wohnraumes nicht zusätzlich erschwert. Für die Wohnungswirtschaft wird es elementar sein, die niedrige Risikogewichtung beizubehalten. Die Schaffung von einheitlichen Wettbewerbsbedingungen für die Kreditvergabe aus internationaler Sicht darf dabei nicht zu Lasten der deutschen Langfristkultur gehen. Die Benachteiligung durch die Einführung einer höheren Risikogewichtung würde sich, gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Neubauaktivitäten, auf die Finanzierung der Wohnungs- und Immobilienunternehmen in Deutschland besonders stark auswirken.
Außerdem wird im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft unter anderem die Digitalisierung von Dienstleistungen und Organisationen ein bedeutendes Thema sein.
Im Bereich der Wohnungsbaupolitik hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat zur Unterstützung der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands ein Forschungsprojekt in 2018 in Auftrag gegeben, das einen Gesamtüberblick über Programmatik und aktuelle Ausprägungen der Wohnungspolitiken der EU-Mitgliedsstaaten erarbeiten und das jeweilige Zusammenwirken von Marktgegebenheiten, unterschiedlichen nationalen rechtlichen Regelungen und förderpolitischen Maßnahmen im nationalen Gesamtkontext aufzeigen soll. Im Fokus der Studie sollen insbesondere Selbstverständnis, Verfasstheit und Steuerungsintensität der nationalen Wohnungspolitiken sowie politische Schwerpunktsetzungen und Aktivitäten der zurückliegenden 5 bis 7 Jahre stehen. Diese aktualisierte Darstellung der Wohnungspolitik soll den Beitrag der Bundesrepublik Deutschland für den europäischen Dialog während ihrer Ratspräsidentschaft darstellen, um den fachlichen Austausch zu verbessern und vergleichende Einschätzungen der Wohnungspolitiken in Europa zu erleichtern. Die Ergebnisse der Studie werden auf einer europäischen Konferenz der deutschen Ratspräsidentschaft zur Wohnungspolitik am 6. November 2020 in Berlin vorgestellt.
Im Bereich der Stadt- und Raumentwicklung wird in Leipzig am 30. November 2020 vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat ein informelles Ministertreffen vorbereitet. Zentrale Themen des Treffens sind die Verabschiedung der neuen Leipzig-Charta, welche die Grundlagen für eine nachhaltige Stadtentwicklung in Europa schaffen soll, sowie, die Verabschiedung eines Umsetzungsdokumentes, welches die Fortführung der Urbanen Agenda für die EU sowie deren Verknüpfung mit den Leitprinzipien der Leipzig-Charta beinhaltet.
Im Bereich der Raumordnung soll am 1. Dezember 2020 in Leipzig während des informellen Ministertreffens die Verabschiedung der Territorialen Agenda 2030 erfolgen.
Am 16. Juni 2020 hat die Triopräsidentschaft ihr Programm den Mitgliedstaaten im Rat für allgemeine Angelegenheiten präsentiert (informelle Videokonferenz). Das Programm wurde nun im schriftlichen Verfahren angenommen.
Weitere Informationen:

https://www.consilium.europa.eu/en/meetings/gac/2020/06/16/?utm_source=dsms-auto&utm_medium=email&utm_campaign=Video+conference+of+ministers+for+European+affairs

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