Interview mit GdW-Präsident Axel Gedaschko in der Süddeutschen Zeitung: „Da läuft etwas ganz gewaltig schief“
Wohnen ist aus der öffentlichen Debatte fast verschwunden. Doch ob Mieten oder Heizkosten: Die Liste der Probleme ist nicht kleiner geworden. Verbandspräsident Axel Gedaschko über das Vermieten in der Krise – und die Zeit danach
INTERVIEW: ANDREAS REMIEN
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 21./22. November 2020
Vor gut einem Jahr bezeichnete die Bundesregierung die Wohnungspolitik als wichtigste soziale Frage. In der Corona-Krise aber ist es still geworden um das Thema. Am kommenden Montag will sich die Branche auf dem „Tag der Wohnungswirtschaft“ daher wieder mehr Gehör verschaffen. Veranstalter ist der GdW, der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft. Mitglieder sind vor allem kommunale Unternehmen und Genossenschaften, die insgesamt knapp ein Drittel aller Wohnungen vermieten. Axel Gedaschko wurde vor Kurzem für weitere fünf Jahr zum Präsidenten des Verbandes gewählt.
SZ: Herr Gedaschko, sind in diesem Jahr endlich alle Wohnungsprobleme gelöst?
Axel Gedaschko: Nein, natürlich nicht.
Das Thema Wohnen scheint aber in der öffentlichen Debatte weitgehend verschwunden zu sein.
Die Corona-Krise hat viele wichtige Themen an den Rand gedrängt, so auch die Wohnungspolitik. Es stimmt allerdings auch, dass der Druck auf die Märkte nicht mehr ganz so hoch ist.
Wie kommt das?
Die Zuwanderung von Arbeitskräften in das Wirtschaftssystem, also vor allem in die deutschen Städte, ist massiv zurückgegangen. Die Nachfrage nach Wohnungen ist also vielerorts geringer. Jetzt ist die große Frage, wie es weitergeht. Wird sich die Wirtschaft schnell erholen oder wird die Arbeitslosigkeit steigen? Diese Frage wird einen großen Einfluss auf die Wohnungsmärkte haben. Zwar nicht überall – in München etwa dürfte der Druck sehr hoch bleiben – aber doch in vielen anderen Städten.
Gibt es noch andere Gründe für die Entspannung?
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten geht die Nachfrage immer zurück. Studenten zum Beispiel wohnen länger zu Hause, statt sich eine eigene Wohnung zu suchen. Oder in Ehen, in denen es nicht so toll läuft, rauft man sich zusammen – und zieht nicht in getrennte Wohnungen. Das sind alles Effekte, die auf der Nachfrageseite für eine Entspannung sorgen können.
Am Anfang der Corona-Krise gab es Befürchtungen, dass sich viele Mieter ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Wie sieht die Bilanz am Ende des Jahres aus?
Diese Szenarien sind nicht eingetreten. Vor allem, weil Instrumente wie das Kurzarbeitergeld oder die Verlängerung des Arbeitslosengeldes wirken. Dadurch haben Menschen meist genug Geld – auch für die Miete. Hinzu kommt, dass Haushalte weniger ausgeben, sie reisen nicht und gehen weniger essen. Viele Arbeitnehmer in Vollbeschäftigung haben sogar mehr auf dem Konto als vorher. Auf der anderen Seite gibt es aber Menschen, die große Probleme haben, vor allem Selbständige. Hier erweisen sich zumindest unsere Unternehmen als sozialverantwortliche Vermieter – es soll niemand wegen Corona seine Wohnung verlieren.
Die Wohnungsunternehmen scheinen dagegen weitgehend unbeschadet durch die Krise gekommen zu sein.
Das stimmt nicht ganz. Manche Unternehmen vermieten auch Gewerbeflächen und sind daher massiv betroffen. Und wie bei den Mietern muss man auch bei den Vermietern nach dem Standort differenzieren. In manchen Städten merken die Vermieter fast gar nichts. In anderen Städten, die zum Beispiel sehr von einzelnen Branchen wie der Luftfahrt oder dem Tourismus abhängen, sieht das anders aus.
Wie sehr beeinträchtigt die Krise das alltägliche Geschäft?
Mittlerweile haben sich die Unternehmen gut mit der Situation arrangiert. Es funktioniert. Wohnungsbesichtigungen etwa sind problemlos möglich, dafür haben die Vermieter Hygienekonzepte erarbeitet. Und die Kommunikation mit den Mietern läuft immer häufiger digital. Zwar gab es diese Möglichkeiten am Computer oder Smartphone schon vorher, aber jetzt werden sie viel mehr genutzt. Einschränkungen gibt es derzeit vor allem bei Arbeiten, die in der Wohnung stattfinden. Viele Vermieter haben daher Sanierungen innerhalb von Gebäuden zurückgestellt und machen andere Dinge, zum Beispiel Dämmungen an der Außenhülle oder Modernisierungen im Keller. Also überall dort, wo es keinen oder kaum Kontakt zu den Bewohnern gibt.
Und was funktioniert nicht?
Probleme gibt es in erster Linie im Austausch mit den Behörden. Vor allem am Anfang war es ein Schock zu sehen, was auf einmal nicht mehr funktioniert. Gute Verwaltungen haben die Probleme in den Griff bekommen, schlechte Verwaltungen waren in der Corona-Krise noch schlechter. Manche Bauämter waren über Monate geschlossen. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Wenn irgendein Unternehmen so gearbeitet hätte wie manche Behörde, wäre es schon längst insolvent. Da hat sich gezeigt, dass der Staat noch sehr große Defizite bei der Digitalisierung hat. Es fehlen in den Behörden noch immer die passenden Softwarelösungen – von der Hardware ganz zu schweigen. Darunter leiden auch viele Mieter.
Inwiefern?
Viele Mieter mit geringem Einkommen haben einen Rechtsanspruch auf Wohngeld. Viele Wohngeldstellen waren aber überhaupt nicht erreichbar. Nur in Kommunen in Nordrhein-Westfalen und einigen in Schleswig-Holstein können Mieter Wohngeld digital beantragen. Überall sonst müssen sie zum Amt, und wer Kinder hat, unter Umständen sogar in mehrere Ämter. Das ist alles von vorgestern. Wir brauchen hier eine bundesweite Lösung.
Zuletzt hatte die Bundesregierung das Thema Wohnen wieder auf der Agenda. Das Baulandmobilisierungsgesetz soll neue Verfahren für den Wohnungsbau ermöglichen und die Kommunen stärken – gestritten wird aber vor allem darüber, dass Mietwohnungen nicht mehr so einfach in Eigentumswohnungen umgewandelt werden dürfen. Ist das ein großes Problem auf dem Wohnungsmarkt?
Das ist nicht unser Geschäftsmodell. Sozial orientierte Vermieter wandeln keine Wohnungen um. Aber es gibt natürlich andere, die das machen. Und das sehen wir durchaus mir Sorge. Wird eine Wohnung verkauft, muss der Mieter befürchten, mittelfristig ausziehen zu müssen. Das wirft auch ein schlechtes Licht auf die gesamte Immobilienbranche – auch auf jene, die damit gar nichts zu tun haben. Auf der anderen Seite gibt es einen großen Anlagedruck und auch den berechtigten Wunsch vieler Menschen, Eigentum zu haben.
Die Bundesregierung muss sich also zwischen den Interessen von Eigentümern und denen von Mietern entscheiden?
Nicht unbedingt. Mieter haben ja ein Vorkaufsrecht. Das ist allerdings oft nur blanke Theorie, weil es den Mietern an Eigenkapital fehlt. Wir schlagen daher vor, dass die KfW Förderprogramme auflegt, die Mietern das Eigenkapital zur Verfügung stellen. So können Mieter tatsächlich in die Lage versetzt werden, die Wohnung zu kaufen. Und man kann auch darüber nachdenken, den Kaufpreis am Maßstab der vorherigen Kaltmiete zu reglementieren. So kann der Mieter in der Wohnung bleiben.
Man hat den Eindruck, dass sich die Bundesregierung mit den neuen Regelungen eher wieder in Details verliert. Als Verbandspräsident setzen Sie sich seit mehr als zehn Jahren für die Wohnungspolitik ein. Warum tun sich Bundes- und Landesregierungen und auch viele Kommunen so schwer, mal einen großen Wurf zu landen?
Weil es viele unterschiedliche Interessen und Sichten gibt. Und oft werden die Probleme nicht zusammengedacht. Ganz stark merken wir das bei vielen Kommunen. Auf der einen Seite gibt es das nachvollziehbare Ziel, den Verbrauch von Flächen zu vermeiden. Auf der anderen Seite aber steht das Ziel, bezahlbare Wohnungen zu errichten. Das beißt sich. Man kann zwar mit Nachverdichtung viel machen, aber diese Möglichkeiten sind endlich, und oft auch teuer. Eine Kommune müsste versuchen, die unterschiedlichen Ziele in einer großen, gemeinsamen Strategie anzugehen. Für viele Städte ist das eine ziemlich unbequeme Wahrheit – im Zweifel soll dann lieber die Nachbargemeinde Wohnungen bauen.
Was macht Sie optimistisch, dass sich Dinge ändern?
Bei Bund und Ländern haben sich schon einige Dinge geändert, zwar langsam, aber eben doch. Der Bund kann jetzt zum Beispiel den Bau von Sozialwohnungen fördern – dafür wurde sogar das Grundgesetz geändert. Die Bauordnungen in vielen Ländern sind moderner, sie ermöglichen jetzt zum Beispiel auch serielles Bauen. Und auch in manchen Metropolen hat sich viel getan. Hamburg zum Beispiel hat gezeigt, wie es funktionieren kann. Dort hat die Bürgerschaft Wohnen zur Chefsache gemacht und gleichzeitig einen gemeinsamen Spirit erzeugt.
Ein gemeinsamer Spirit herrscht in vielen Städten derzeit eher nicht. Vor allem die aufgeheizten Diskussionen in Berlin zeigen, was anderen Städten noch bevorstehen könnte.
Solange Angebot und Nachfrage nach Wohnungen nicht austariert sind, braucht man eine vernünftig lenkende Ordnungspolitik. Die Auswüchse auf den Mietmärkten müssen beschränkt werden. Das nennt man soziale Marktwirtschaft. Aber derzeit nehmen Ideologie und Wahlkampf überhand, zum Beispiel beim Thema Enteignungen. Wenn man sieht, welche Ideen da noch in der Pipeline sind, kann einem angst und bange werden, und die Probleme werden nicht gelöst. Das ist Populismus, um von den eigenen Versäumnissen in der Wohnungspolitik abzulenken.
Bei vielen ist der Frust einfach groß, weil sie keine bezahlbare Wohnung haben oder finden. Ist da der Wunsch nach radikaleren Lösungen nicht verständlich?
Den Ärger kann ich nachvollziehen, aber viele der nun propagierten Lösungen sind kontraproduktiv und würden den Mietern selbst auf die Füße fallen. Radikale Lösungen wie Enteignungen sind selten intelligent.
Einen Drang zur Radikalisierung gibt es auch in der Klimapolitik. Auch hier haben viele Menschen den Eindruck, dass nicht genug getan wird. Was kommt da auf Eigentümer und Mieter zu?
Der Gesetzgeber hat klimapolitische Ziele vorgegeben. Die Frage ist nun aber vor allem: Wie bekommen wir das bezahlt? Ob Dämmung, moderne Heizung oder neue Fenster: Die energetische Sanierung von Immobilien ist sehr teuer. Wenn ein Eigentümer eine Wohnung umfassend saniert, müsste er circa 2,50 Euro pro Monat und Quadratmeter auf die Miete umlegen. Durch den geringeren Energieverbrauch spart der Mieter aber nur etwa 80 Cent ein. Bleiben immerhin noch 1,70 Euro Mehrkosten. Viele Mieter können das nicht bezahlen. Das kann sich zu einem sozialen Sprengstoff entwickeln.
Viele Vermieter haben in den vergangenen Jahren sehr gut verdient. Müssen sie jetzt nicht ihren Beitrag leisten?
Das machen sie schon längst. Viele Eigentümer legen zum Beispiel nach einer energetischen Sanierung viel weniger Kosten auf die Miete um als sie dürften. Es mag Unternehmen geben, die sehr viel verdient haben. Aber gerade sozial orientierte Unternehmen haben nicht die Möglichkeit, mal eben ins Hinterzimmer zu gehen und den großen Geldsack rauszuholen. Weil es weder Vermieter noch Mieter schaffen können, gibt es daher nur eine Lösung: Der Staat muss die energetische Sanierung finanzieren. Wir müssen aber auch noch mehr über andere, intelligentere Lösungen nachdenken.
Was heißt das?
Wir haben uns die Daten genau angesehen. Zwischen 1990 und 2010 gibt es eine starke Korrelation zwischen Investitionen und Energieverbrauch. Das heißt: Je mehr in die energetische Sanierung investiert wurde, umso stärker ist der Energieverbrauch gesunken. Seit 2010 ist das aber nicht mehr so. Es gibt kaum mehr Energieeinsparungen – obwohl wir mehr als 350 Milliarden Euro investiert haben. Da läuft etwas ganz gewaltig schief.
Und zwar?
Wir haben viel über die Verantwortung der Wirtschaft geredet – und dabei den Nutzer vergessen. Dabei ist es am Ende der Mensch, der die Energie verbraucht, und nicht das Gebäude. In sanierten Gebäuden stimmt der theoretisch berechnete und der tatsächliche Verbrauch nicht überein. Das kann daran liegen, dass es sich die Bewohner wärmer machen, beim Lüften die Heizung nicht herunterregeln oder die Fenster den ganzen Tag auf Kipp stehen.
Müssten dann die Eigentümer ihre Mieter besser für das Thema sensibilisieren?
Das wird auch gemacht. Aber der Mensch raucht und trinkt, obwohl er weiß, dass das schädlich ist. Wir brauchen daher mehr Transparenz über den Energieverbrauch. Konkret heißt das: Wir brauchen eine klare gesetzliche Regelung, die uns gestattet, jede Wohnung mit Technik auszustatten, die Mieter beim Heizverhalten unterstützt. Also Geräte, die Mietern intelligent bei der Heizungssteuerung helfen.
Mieter werden also überwacht?
Nein, wir müssen von vornherein klarstellen, dass die Daten in der Wohnung bleiben. Es sind Daten für Mieter. Die meisten Mieter würden sich wahrscheinlich darüber freuen, wenn sie eine intelligente Technik in der Wohnung und transparente Daten über Kosten haben. Und es wäre ein effektives Mittel. Wir haben gerade eine Studie fertiggestellt, die zu dem Ergebnis kommt, dass allein die Veränderung des Nutzerverhaltens 15 Prozent Endenergie einsparen könnte. Mit der Optimierung der Anlagen wären es dann insgesamt mindestens 20 Prozent – ohne, dass dafür nur ein Haus gedämmt werden müsste.
Gestritten wird derzeit nicht nur darüber, wer für Modernisierungen zahlen muss. Im nächsten Jahr kommt auch die CO2-Abgabe – das werden Mieter auf der Heizkostenabrechnung merken, und zwar jedes Jahr. Wer soll das bezahlen?
Wir brauchen ein ausgewogenes System, das Anreize für beide Seiten bietet und von der Beschaffenheit des Gebäudes abhängt. Ist das Gebäude in einem schlechten Zustand, also zum Beispiel mit alter Heizung und unzureichender Dämmung, muss der Vermieter einen höheren Beitrag leisten. In einem sehr guten Gebäude, bei dem der Vermieter kaum noch etwas tun kann, muss der Mieter einen entsprechend höheren Anteil tragen. Was jetzt zum Teil vorgeschlagen wurde, ist reiner Populismus. Vernünftige Entscheidungen in der Wohnungspolitik können wir wahrscheinlich ohnehin nur noch bis Dezember erwarten – danach ist Wahlkampf.