Mehr Kultur im Quartier ermöglichen!
Potsdam/Berlin – „Lebendige Städte brauchen belebende Alltagskultur. Live-Musikspielstätten und soziokulturelle Einrichtungen sollten deshalb einen besseren planungsrechtlichen Status erhalten, um ihre Existenz als integraler Bestandteil des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens abzusichern. Das ist eine der Kernthesen des Positionspapiers „Wohnen, Arbeiten und Kultur“, das die Bundesstiftung Baukultur, der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), der Bundesverband Soziokultur e.V. und der LiveMusikKommission Verband der Musikspielstätten in Deutschland e.V. heute verabschiedet haben.
Das Coronavirus und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben das gesellschaftliche und vor allem wirtschaftliche Leben auf den Kopf gestellt. Insbesondere Live-Musikspielstätten sind davon hart getroffen – sie mussten ihren Betrieb von heute auf morgen und voraussichtlich noch für eine längere Zeit einstellen. Viele Einrichtungen sind existenziell bedroht. „Orte der Kultur, ob Theater, Museen, Konzerthäuser oder eben Clubs und soziokulturelle Einrichtungen, sind ein integraler Bestandteil lebendiger Innenstädte und gemischter Quartiere. Sie sind sowohl Ankerpunkte als auch Motor im öffentlichen Raum. Beeinträchtigungen und Beschränkungen der Einrichtungen wirken sich unmittelbar auf das öffentliche Leben und die Vitalität des Gemeinwesens aus. In Zeiten von Corona spüren wir das ganz deutlich“, so Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Daher ist es jetzt umso wichtiger, ihre Existenz zu stärken und bestehende planungsrechtliche Einschränkungen – wo machbar – aus dem Weg zu räumen. Die anstehende Änderung des Baugesetzbuchs bietet dafür eine gute Gelegenheit.
Insbesondere Livemusik-Spielstätten und soziokulturelle Einrichtungen sind auch ein wichtiger Standortfaktor. Besonders für die Entwicklung und Wiederbelebung von Mittelstädten und in ländlichen Regionen sind soziokulturelle Orte entscheidend: Da sie sich vorwiegend an jüngere Menschen richten, können sie helfen, Abwanderung zu verringern oder zur Rückkehr von Fachkräften zu motivieren.
Thore Debor, Sprecher der AG Kulturraumschutz der LiveKomm: „Schon vor der Corona-Krise standen die Musikspielstätten und die Clubkultur unter großem Druck. Dieser ist nun noch größer und es ist für unseren Kulturwirtschafts-Bereich von existenzieller Bedeutung, im Planungsrecht, den Planungsvorgängen sowie bei den Schallschutz-Maßnahmen eine bessere, zukunftsgerichtete Position zu erreichen. Dieses Positionspapier und die ungewöhnliche Allianzbildung der Verbände ist dazu ein wichtiger Schritt.“ Marc Wohlrabe, Vorstand der LiveKomm und Direktor der Nachtleben-Fachkonferenz „Stadt nach Acht“ ergänzt: „Wir wünschen uns, dass die Einstufung von Clubs als Kulturstätten in der Baunutzungsverordnung erreicht werden kann und dass die Musikspielstätten ihren Platz in den immer teurer und enger werdenden Städte behalten und auch Neue solche Orte finden werden können.“
Vor dem Hintergrund immer dichter bebauter Viertel kommt es vor allem in den Ballungsräumen häufig zur Verdrängung von Musikclubs und soziokulturellen Einrichtungen und zu Konflikten zwischen Betreibern und Anliegern – zumeist aufgrund der Lautstärke. Dabei handelt es sich bspw. um neue Wohnbebauung der Innenentwicklung, die die alteingesessenen Clubs gefährden. Es geht also darum, die Existenz der soziokulturellen Zentren zu sichern und gleichzeitig die Wohnqualität in der Nachbarschaft zu gewährleisten.
„Wohnstandorte sind langfristig nur attraktiv, wenn sie ihren Bewohnern ein lebendiges, urbanes und vielfältiges Umfeld bieten. Deshalb sind Clubs und Konzerthäuser ebenso wie Theater und Museen enorm wichtig für die Zukunft ganzer Städte und Quartiere. Diese Orte der Kultur sind von den Auswirkungen der Corona-Pandemie besonders stark betroffen. Sie sollten deshalb künftig im Planungsrecht und in der Stadtentwicklung so mit einbezogen werden, dass sie ihr Potenzial der kulturellen Standortprägung weiterhin entfalten können, ohne die Wohnqualität in Nachbarschaften zu beeinträchtigen“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW.
Im Positionspapier formulieren die Initiatoren dazu drei Handlungsempfehlungen:
1. Einstufung von Clubs als kulturelle Anlagen
Livemusik-Spielstätten, für die ein kultureller Bezug nachweisbar ist, sollten in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) als Anlagen für kulturelle Zwecke eingestuft werden. Aktuell wird nicht zwischen Musikclubs und Diskotheken unterschieden: Musikclubs werden allgemein als Vergnügungsstätten eingestuft und gelten als Gewerbebetrieb, bei dem die kommerzielle Unterhaltung im Vordergrund steht.
2. Kulturentwicklungsplanung
Bei der Planung und Entwicklung von neuen Stadtteilen und Quartieren sollten Kommunen immer auch die Eignung für kreative Nutzungen im Allgemeinen und die Ansiedelung neuer Musikspielstätten im Speziellen prüfen. Kultur sollte integraler Bestandteil von Stadtentwicklungskonzepten sein.
3. Schallimmissionen
Aktuell wird die Schallbelastung bei bebauten Flächen vor dem geöffneten Fenster des zu schützenden Gebäudes gemessen. Die Verfasser des Positionspapiers fordern, dass stattdessen für Nachtzeiten maximale Innenschallpegel für Schlafräume festgelegt werden, um auch passive Schallschutzmaßnahmen wie das erprobte „Hamburger Fenster“ zu ermöglichen.
Wie Städte bereits heute mit den Herausforderungen der Clubkultur umgehen, zeigt das Papier anhand von fünf Best-Practice-Beispielen.
Das Papier steht hier zum Download bereit.
Der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen vertritt als größter deutscher Branchendachverband bundesweit und auf europäischer Ebene rund 3.000 kommunale, genossenschaftliche, kirchliche, privatwirtschaftliche, landes- und bundeseigene Wohnungsunternehmen. Sie bewirtschaften rd. 6 Mio. Wohnungen, in denen über 13 Mio. Menschen wohnen. Der GdW repräsentiert damit Wohnungsunternehmen, die fast 30 Prozent aller Mietwohnungen in Deutschland bewirtschaften.