Der Bedarf an neuem Wohnraum ist groß – und doch wird immer weniger gebaut. Ein zentraler Grund: Der Wohnungsbau stößt zunehmend an seine Kosten- und Finanzierungsgrenzen. „Normative Vorgaben, steigende Standards und gesetzliche Regularien machen das Bauen fast unmöglich“, sagt Prof. Dietmar Walberg, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE//eV).
Sein Vorschlag: „Wir müssen alle Standards überprüfen und bei jedem einzelnen Gebäude fragen: Wem nützt es, welche Funktion erfüllt es und was brauche ich wirklich?“ Walberg ist überzeugt, dass sich auf diese Weise zahlreiche Einsparpotenziale finden lassen – ohne dass die Wohnqualität leidet.
Am Vielohweg in Hamburg wird dieser Ansatz bereits verfolgt. Dort entstehen fünf Gebäude mit Genossenschaftswohnungen. Eines davon dient als Prototyp für den sogenannten „Hamburg-Standard“. Das ist ein Baukonzept, das in der Hansestadt entwickelt wurde, um den Wohnungsbau wieder bezahlbar zu machen. Die Grundidee: weg von Überregulierung, hin zu einem vernünftigen Mindeststandard, der gute Wohnqualität sichert, aber unnötige Kosten vermeidet.
Auf alles Unnötige verzichten
Was das für Kosten sein können, davon berichtet Architekt und Bauleiter Sven Kukuk von der „hsbz architekten GmbH“: „Wir haben zum Beispiel auf den Keller und die Tiefgarage verzichtet. Allein der Bau der Tiefgarage hätte rund 1,2 Millionen Euro gekostet – eine Ersparnis von etwa 650 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche.“
Auch die Betondecken wurden optimiert: Statt 20 Zentimeter sind sie nur noch 16 Zentimeter stark. „Messungen zeigen, dass der erhöhte Schallschutz trotzdem erreicht wird“, so Kukuk. Eingespart wurden auf diesem Weg weitere 60.000 Euro. Ähnlich verhielt es sich bei den Trennwänden zwischen den Wohnungen, deren Stärke von 24 auf 20 Zentimeter reduziert wurde. Außerdem wurde auf eine dritte Wärmepumpe verzichtet. Für die künftigen Bewohner bedeutet der Verzicht beim Bauen aber keine Einbußen. „Die Mieter werden keinen Unterschied zu einem konventionell errichteten Gebäude bemerken“, betont Kukuk. „Der einzige Unterschied ist, dass die Mieten niedriger ausfallen.“
Ein Vorbild fürs ganze Land
Kann der „Hamburg-Standard“ also auch bundesweit ein Vorbild sein? Jörg Tondt ist überzeugt davon. Der Vorstandsvorsitzende der Wohnungsbaugenossenschaft fluwog in Hamburg sagt: „Was es in Deutschland braucht, ist ein verändertes Mindset. Wir müssen uns fragen, ob das, was wir bisher beim Bauen tun, überhaupt richtig ist.“ Der „Hamburg-Standard“ sei daher ein passendes Instrument. Die Einführung eines verbindlichen Mindeststandards insbesondere im Mietwohnungsbau könne Bauprozesse in ganz Deutschland verändern. „Im Moment habe ich das Gefühl, dass ständig zusätzliche Anforderungen obendrauf kommen“, sagt Tondt. Übertriebener Schallschutz, begrünte Fassaden und einiges andere mehr sei ja gut gemeint, „aber gut gemeint heißt noch nicht, dass es gut gemacht ist“, so Tondt. „Häufig ist es einfach nur überflüssig und macht das Ganze teurer. Der „Hamburg-Standard“ setzt dagegen auf konsequente Kostenreduktion bei gleichbleibender Wohnqualität. Statt maximaler Technik und teurer Zusatzausstattung wird geprüft, was tatsächlich gebraucht wird. Das Hamburger Pilotprojekt am Vielohweg zeigt: Substanzielle Einsparungen sind möglich – ohne Abstriche für die Mieter. Ein Modell, das Schule machen könnte.